Berufliche Inklusion fördern

Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt ist Teil der UN-Behindertenrechtskonvention. Damit sie − insbesondere auch für Frauen − Realität wird, ist der VdK im Gespräch mit Politiker:innen und Gewerkschaften.

Zwei Frauen und ein Mann blicken gemeinsam auf einen Computer-Bildschirm.

Problembeschreibung

Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt ist Teil der UN-Behindertenrechtskonvention (§§ 27, 28 UN-BRK). Im Sinne einer teilhabeorientierten, partizipativen Perspektive sind Menschen mit Behinderung genauso Arbeitnehmer:innen, Beamt:innen und Selbstständige wie Menschen ohne Behinderung auch. Dies entspricht jedoch nicht der Arbeitsmarkt- und Erwerbsrealität vieler Menschen mit Behinderungen. Sie sind in vielfacher Weise auf dem Arbeitsmarkt und in ihrer Erwerbsbiografie benachteiligt. So sind sie seltener erwerbstätig als Menschen ohne Behinderung, finden schlechter Arbeitsplätze, verdienen weniger und haben ein geringeres Vermögen.

Hinsichtlich ihrer Erwerbstätigkeit sind Frauen mit Behinderungen in der Gruppe der Menschen mit Behinderungen nochmals schlechter gestellt. Zum einen erfahren sie die diskriminierenden Strukturen, denen auch Frauen ohne Behinderung auf dem Arbeitsmarkt und hinsichtlich ihrer Erwerbstätigkeit ausgesetzt sind. Hier sind beispielsweise geringere Löhne und eine hohe Teilzeitquote zu nennen, die für viele Frauen in die Altersarmut führen. Dies ist zudem mit einem höheren Anteil an Care-Aufgaben verbunden, die sie, verglichen mit Männern (mit und ohne Behinderung), übernehmen. Zum anderen arbeiten Frauen mit chronischen Erkrankungen, anerkannter Behinderung oder Schwerbehinderung seltener als Männer mit Behinderungen. Frauen mit Schwerbehinderung werden schlechter bezahlt, arbeiten seltener in Vollzeit- und Führungspositionen und haben geringere Aufstiegschancen. 

Die Mehrfachbenachteiligung von Frauen mit Behinderungen im Arbeitsmarkt steht im Widerspruch zu § 49 Abs. 2 SGBkurz fürSozialgesetzbuch IX, der die Zusicherung gleicher Chancen im Erwerbsleben für Frauen mit Behinderungen vorsieht, insbesondere Chancen „durch in der beruflichen Zielsetzung geeignete, wohnortnahe und auch in Teilzeit nutzbare Angebote“. Die Monitoringstelle der UN-Behindertenrechtskonvention betont ebenfalls, dass insbesondere Frauen mit Behinderungen stärker in den Fokus gerückt werden sollen. Inwieweit das jüngst verabschiedete Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts auf Bundesebene insbesondere die Situation für Frauen mit 
(Schwer-)Behinderung auf dem Arbeitsmarkt verbessern wird, ist offen.

Die beschriebene besonders benachteiligende Situation von Frauen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt ist lange bekannt und in Einzelstudien und Studien zur  Arbeitsmarkt-, Einkommens- und Vermögenssituation von Menschen und insbesondere Frauen mit Behinderung belegt. Während hierdurch bundesweit zumindest einige Daten vorliegen, gibt es eine solche Datenbasis in Rheinland-Pfalz nicht. Auf Nachfrage konnte das Ministeriums für Soziales, Transformation und Digitalisierung (MASTD) kaum Daten und Zahlen zur Situation von Frauen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt in Rheinland-Pfalz vorlegen. So wird der Anteil von Frauen mit Schwerbehinderung an schwerbehinderten Arbeitnehmer:innen in Unternehmen mit weniger und mehr als 20 Beschäftigten noch erfasst. Darüber hinaus gibt es jedoch keine belastbaren Zahlen. So ist völlig unklar, wie die Situation bei Frauen mit Behinderung aussieht, die nicht schwerbehindert sind. 

Forderungen im Einzelnen

Erst eine genaue Betrachtung des Status quo ermöglicht zielgerichtete und in Einbezug mit der Personengruppe zu entwickelnde Maßnahmen und Programme, die die beschriebenen strukturellen Problemlagen lösen und Mehrfach-benachteiligungen im Arbeitsmarkt berücksichtigen. 

Die Lösungen müssen sowohl auf politischer Ebene als auch auf der Ebene der Arbeitgeber ansetzen und nicht zuletzt eine umfassende Unterstützung und Empowerment von Frauen mit Behinderung in ihrer Erwerbstätigkeit durch Beratung und Information beinhalten. Ziel muss ein auch für Frauen mit Behinderungen inklusiver, barriere- und diskriminierungsfreier Arbeitsmarkt sein, um die berufliche und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und zu sichern und Altersarmut von Frauen mit Behinderungen zu vermeiden. 

Datenerhebung

Grundlage für diese Strategien, Programme etc. müssen bundeslandspezifische Daten sein. Daher fordern wir für die Problem- und Handlungsanalyse notwendige Daten zu erheben, auf Basis derer dann Strategien zur erfolgreicheren Arbeitsmarktintegration von Frauen mit Behinderungen ausgearbeitet und umgesetzt bzw. bestehende Maßnahmen verbessert werden müssen. Die Daten sollten auch die Heterogenität der Gruppe Frauen mit Behinderung widerspiegeln, genauso wie die darauf basierenden Schlussfolgerungen. Je nach Beeinträchtigung, Alter, kulturellem Hintergrund etc. sehen sich Frauen mit Behinderungen mit verschiedenen Herausforderungen und Problemlagen konfrontiert.

Erhoben werden müssten dazu Daten zu:

  • Lohnstruktur/ durchschnittliches Einkommen
  • Arbeitszeit (Vollzeit, Teilzeit)
  • Anzahl von Frauen in Werkstätten, in Inklusionsbetrieben und auf dem ersten Arbeitsmarkt 
  • Verteilung in verschiedenen beruflichen Sektoren 
  • Männern mit Behinderung und Frauen ohne Behinderung, um spezielle Problemlagen von Frauen mit Behinderung im Vergleich aufzudecken
  • Frauen mit chronischen Erkrankungen bzw. mit keiner anerkannten Behinderung und solche mit einem GdB von unter 50 

Zudem müssen Daten erhoben werden, welche Rückschlüsse auf die Auswirkungen von Schwangerschaft, Pflege und Kindererziehung auf die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Behinderungen zulassen. 

Arbeitsumfeld und Arbeitsassistenzen

Zudem ist es wichtig, dass Frauen mit Behinderung ihrer beruflichen Tätigkeit in einem geeigneten Arbeitsumfeld nachgehen können. Dazu braucht es auch entsprechend ausgestattete Arbeitsplätze, die barrierefreies Arbeiten ermöglichen. Dazu gehört auch ein vereinfachter Zugang zu Hilfsmitteln, die das Arbeiten erleichtern bzw. ermöglichen. 

Ebenso gehören Arbeitsassistenzen dazu. In Zeiten des Fachkräftemangels und bei der derzeitigen Lohnsituation im Bereich Arbeitsassistenz ist es jedoch schwierig, solche geeigneten Kräfte zu finden. Hier muss hinsichtlich der Attraktivität des Arbeitsassistenz-Berufs nachgesteuert werden, damit ein Arbeitsverhältnis nicht daran scheitert bzw. nicht weitergeführt werden kann, weil eine notwendige für spezielle Aufgaben qualifizierte Arbeitsassistenz nicht zur Verfügung steht. 

Arbeitgeber müssen nicht nur Barrieren abbauen, sondern zudem noch weiter dahingehend sensibilisiert werden, dass Frauen mit Behinderungen ebenso leistungsfähige und qualifizierte Arbeitskräfte sind. Dies würde die studienbelegte Sorge nehmen, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer:innen als weniger leistungsfähig und somit als weniger einsetzbar von Arbeitgeber wahrgenommen werden. 

Außerdem sollten Arbeitgeber Rückzugsorte für Mitarbeitende mit Behinderungen schaffen. Gerade bei psychischen Erkrankungen wirkt sich die gesteigerte Arbeitsbelastung besonders negativ aus. Es sollte zudem die Möglichkeit für diese Mitarbeitenden bestehen, einen besonders engmaschigen Kontakt zur Betriebsärztin bzw. zum Betriebsarzt zu pflegen. Auch behindertengerechte und gut zu erreichende Parkplätze für Mitarbeitende mit Behinderungen sollten vorgehalten werden. Arbeitgeber sollten zudem verpflichtende anonyme Ansprechstellen, die auch als Beschwerdestellen fungieren, einrichten, damit Mitarbeitende mit Behinderungen unabhängig von dem Vorhandensein anderer Strukturen wie einer Schwerbehindertenvertretung eine Anlaufstelle bei Problemen und Herausforderungen im Arbeitsalltag oder mit dem Arbeitgeber haben. 

Auf Wunsch sollten Lohnabrechnungen barrierefrei zur Verfügung gestellt werden, damit jedem und jeder Mitarbeitenden ermöglicht wird, diese nachvollziehen zu können. Für eine langfristige und stabile Arbeitsperspektive und -inklusion sollten Arbeitgeber vermehrt und frühzeitig unbefristete Arbeitsverträge für Mitarbeitende mit Behinderungen in Aussicht stellen. 

Frühe Bildungschancen und Ausbildungs- und Weiterqualifizierungsmöglichkeiten

Die Förderung von Frauen mit Behinderung im Arbeitsmarkt muss schon früh beginnen. Vor allem Frauen mit angeborener Schwerbehinderung treffen schon früh auf Strukturen, die ihnen eine gleichberechtigte Bildung und Ausbildung erschweren. Um gleichwertige Bildungschancen zu ermöglichen, muss hier bei der schulischen Inklusion, bei der Rheinland-Pfalz stark nachhängt, nachgesteuert werden. 

Zudem müssen Wege und Übergänge aus den Werkstätten in den ersten Arbeitsmarkt weiter gefördert werden. Dies gilt sowohl für Frauen mit Behinderungen, die bereits erwerbstätig sind, als auch für Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten zu Beginn des Arbeitslebens. Hier ist vor allem das Budget für Arbeit und das Budget für Ausbildung zu nennen. Das MASTD will sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass das Budget für Arbeit für weitere Berufe geöffnet wird. Diese Initiative begrüßen wir und werden die Nachbesserungsaktivitäten des Ministeriums verfolgen. Das Budget für Ausbildung muss grundsätzlich bekannter gemacht werden, auch, um schon früh im Berufsleben entsprechende Qualifikationen für Frauen mit Behinderungen zu ermöglichen und den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu verbessern. 

Beratung und Information

Anknüpfend daran muss die Beratung und die Kommunikation von Ausbildungs-, Weiterbildungs-, Qualifikations- und Berufsmöglichkeiten zielgerichtet für Frauen mit Behinderungen erfolgen. Dafür müssen entsprechende Fachberatungsstellen ausgestattet sein. Über die Schwerbehindertenvertretungen in Unternehmen könnten zudem bereits erwerbstätige Frauen direkt angesprochen werden. Auch das Land muss Informationen z.B. zum Budget für Arbeit und zum Budget für Ausbildung breiter und zielgruppengenau streuen. 

Der Einbezug und die Stärkung von Frauen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt ist in Zeiten des Fachkräftemangels essenziell, jedoch umso wichtiger hinsichtlich eines inklusiven, barriere- und diskriminierungsfreien Arbeitsmarkts für Menschen und insbesondere Frauen mit Behinderungen. Das Land Rheinland-Pfalz muss hierfür den Inhalten aus dem Koalitionsvertrag hinsichtlich der Teilhabe und Zukunftschancen in der Arbeitswelt und speziell denen zu einem inklusiven Arbeitsmarkt nachkommen.