Barrierefreiheit umsetzen

Von 1.000 Rheinland-Pfälzer:innen sind 80 schwerbehindert. Aber barrierefrei ist Rheinland-Pfalz deshalb noch lange nicht.

Ein älterer Mann im Rollstuhl und eine ältere Frau mit Rollator stehen am Fuß einer unüberwindbaren Treppe.

Problembeschreibung

Oft genug bleibt es bei Lippenbekenntnissen, beispielsweise im Bereich öffentlicher Nahverkehr. Gemäß § 8 Abs. 3 S. 3 Personenbeförderungsgesetz soll ab dem 1. Januar 2022 die vollständige Barrierefreiheit im öffentlichen Personalnahverkehr erreicht werden. Dieses Ziel wurde verfehlt, auch weil vielfach die verantwortlichen Kommunen jahrelang untätig blieben und erst jetzt, nach und nach, die nötigen Umgestaltungen vornehmen. Zudem fehlt es an Planungskapazitäten, Fachkräften und Haushaltsmitteln. So waren im Jahr 2020 von den 418 Bahnhöfen im Land ganze 389 nicht in jeder Hinsicht barrierefrei. Bei den Bushaltestellen ist das Bild regional sehr unterschiedlich, aber auch hier ist der überwiegende Teil der Standorte noch nicht umgebaut.

Ähnlich sieht es auch im Gesundheitsbereich aus. So ist im Bundesarztregister nur bei 49 Prozent der gynäkologischen Praxen in Rheinland-Pfalz wenigstens ein Merkmal der Barrierefreiheit hinterlegt, bei Urologen sind es 47 Prozent. Nur wenn eine Praxis neu eröffnet wird, besteht eine Verpflichtung zu Barrierefreiheit.

Ebenso ist es bei neugebauten Wohngebäuden, die nach Landesbauordnung einen bestimmten Anteil barrierefreier und rollstuhlgerechter Wohneinheiten aufweisen müssen. Dadurch konnte zumindest in den Städten und Wachstumsregionen mittlerweile eine bessere Versorgung hergestellt werden, wogegen es gerade in ländlichen und schrumpfenden Regionen, wo die Überalterung groß und der Bedarf nach altersgerechtem und barrierefreiem Wohnraum besonders hoch ist, nur wenige Neubauten gibt.

Viele Menschen mit Behinderungen haben eine Stelle auf dem regulären Arbeitsmarkt, einige sind auch in Inklusionsbetrieben beschäftigt. Aber viele arbeiten auch in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, wo die Vergütung auch bei einer Vollzeittätigkeit nicht zum Leben ausreicht. So sind viele Menschen dieser Personengruppe auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen. Die Anrechnung des Freibetrags für Werkstattbeschäftigte gestaltet sich jedoch so kompliziert, dass sie für die Betroffenen und ihre Betreuer:innen nur schwer nachvollziehbar ist. Überhaupt sehen sich Menschen mit geistigen und seelischen Behinderungen und Beeinträchtigungen mit einer Vielzahl amtlicher Schriftstücke konfrontiert, deren Inhalt sie nicht verstehen können.

Nahverkehr

Durch eine neue Fristsetzung, verbunden mit einem wirksamen Verbandsklagerecht, muss bundesweit und in Rheinland-Pfalz flächendeckend barrierefreie Mobilität sichergestellt werden. Dies betrifft Bahnhöfe, Straßenbahn- und Bushaltestellen, Bahnen und Busse selbst, aber auch Ladesäulen für Elektroautos und andere Mobilitätshubs. Auch Bedarfsangebote wie Rufbusse und Ridepooling mit Kleinbussen ohne festen Linienweg müssen barrierefrei gestaltet sein und so die Teilhabe von Menschen mit körperlichen Einschränkungen gewährleisten. 

Und nicht zuletzt müssen Tarifinformationen und Fahrpläne zugänglich und der Fahrkartenkauf barrierefrei möglich sein, auch für blinde und sehbehinderte Menschen, für kognitiv Eingeschränkte und für Senior:innen.

Gesundheitsversorgung

Zudem muss die barrierefreie Gesundheitsversorgung in Rheinland-Pfalz angetrieben werden. Es muss verpflichtend sein, dass innerhalb einer Frist auch schon bestehende Arztpraxen und Apotheken barrierefrei umgebaut werden – dies ist bis jetzt aus Gründen des sogenannten. Bestandsschutzes nicht der Fall und stellt körperlich eingeschränkte Menschen oft vor große Probleme. 

Für Menschen mit geistigen oder Sinneseinschränkungen und ältere Menschen ist es außerdem wichtig, dass Informationen in verständlicher Sprache zur Verfügung gestellt werden, und dass auch weitere Angebote wie Online-Terminbuchungssysteme barrierefrei gestaltet sind, beispielsweise vorlesbar für blinde Menschen.

Wohnraum

Besonders in ländlichen und schrumpfenden Regionen muss das Land weitere Anreize für die Schaffung bezahlbaren barrierefreien Wohnraums geben, etwa durch Umbauten im Bestand, Förderung von Genossenschaftsmodellen und von Wohnprojekten in kommunaler Trägerschaft.

Auch die Kommunen und ihre Wohnungsbaugesellschaften sind gefordert, mit Bau- und Umbauprojekten vor allem die Personengruppen wie Menschen mit Behinderungen, Sozialleistungsbeziehende oder Senior:innen in den Blick zu nehmen, die sich am freien Markt nicht mit adäquatem Wohnraum versorgen können.

Nachvollziehbarkeit amtlicher Schreiben

Für die Vergütung aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung existiert zwar ein Freibetrag im Grundsicherungsrecht. Allerdings gestaltet sich die Anrechnung nach den Regelungen des § 82 Abs. 3 S. 2 SGBkurz fürSozialgesetzbuch XII so kompliziert, dass sie für die Betroffenen und ihren Betreuer:innen nur schwer nachvollziehbar ist. Es muss darauf hingewirkt werden, dass diese Anrechnung transparenter gestaltet wird.

Überhaupt muss im Sinne der Teilhabe darauf hingearbeitet werden, beispielsweise durch die Einführung von „Erläuterungsstellen“, den § 11 des Behindertengleichstellungsgesetzes in die Praxis umzusetzen. Gemäß dieser Vorschrift sollen Behörden mit Menschen mit geistigen oder seelischen Behinderungen in einfacher und verständlicher Sprache kommunizieren. Auf Verlangen sollen insbesondere Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke in verständlicher Weise erläutert werden. Der Ermessensspielraum, der durch den Wortlaut („sollen“) in der Vorschrift eingebettet ist und darauf hinweist, dass es sich also um keine Verpflichtung der Behörden handelt, darf nicht regelmäßig zu Ungunsten der Menschen mit Behinderung dazu führen, dass keine Schritte in Richtung Verständlichkeit der Amtssprache unternommen werden. Zudem müssen die Websites von Ämtern auch in leichter Sprache zu Verfügung stehen. 

Barrierefreiheit im öffentlichen Raum

Barrierefreiheit muss auch im öffentlichen Raum gegeben sein. Diese umfasst barrierefreie öffentliche Toiletten, Ampeln mit Signaltönen und barrierefreies WLAN in Städten. Außerdem muss auch in Altstädten Barrierefreiheit hergestellt werden. Denkmalschutz darf Barrierefreiheit nicht im Weg stehen, beispielsweise bei unebenen Wegen in Altstädten.