Kategorie Wohnen Ehrenamt Barrierefreiheit

Zwei VdK-Fachleute für barrierefreies Bauen und Wohnen teilen ihre Erfahrungen

Von: Das Interview führte Michael Finkenzeller für die VdK-Zeitung.

Sie helfen Privatleuten, schreiben Gutachten und machen Ortsbegehungen – die Beratenden für barrierefreies Bauen und Wohnen sind in ganz Rheinland-Pfalz aktiv. Mit Anette Glöckner und Peter Groß sprach die VdK-Zeitung über ihre Arbeit, ihre Motivation und Tipps fürs eigene Zuhause.

Eine Frau im Rollstuhl steht am Fuße einer langen, steilen Treppe.
Die ehrenamtlichen Berater:innen des VdK helfen, Barrieren im eigenen Haus zu beseitigen. © Fotosearch

Frau Glöckner, Sie sind Beraterin für barrierefreies Bauen und Wohnen im VdK-Kreisverband Bad Kreuznach. Wie sind Sie dazu gekommen?

Glöckner: In meinem Beruf als Architektin war ich damit beschäftigt, öffentliche Gebäude barrierefrei zu erstellen beziehungsweise umbauen zu lassen. Bevor ich in Rente bin, erfuhr ich über die VdK-Zeitung, dass Berater für Barrierefreiheit gesucht werden. Dann habe ich mich gemeldet.

Porträtbild einer Frau mit kurzen Haaren und Brille.
Anette Glöckner ist ehrenamtliche Beraterin für barrierfreies Bauen und Wohnen. © VdK

Das ist ja fast ein Aufruf an unsere Leserinnen und Leser, sich ebenfalls zu engagieren!

Glöckner: Natürlich, wir brauchen immer tatkräftige VdKlerinnen und VdKler! Allerdings sollten sie bauliche Vorkenntnisse haben, zum Beispiel als Handwerker oder wie ich als Architektin.

Ein Mann mit Schnautzbart.
Peter Groß ist ehrenamtlicher Berater für barrierfreies Bauen und Wohnen. © VdK

Herr Groß, aus welcher beruflichen Richtung kommen Sie?

Groß: Als gelernter Elektroinstallateur habe ich mitgeholfen, die VdK-Beratungsstellen in Diez und Lahnstein zu renovieren. Deswegen kam der Kreisverbandsvorsitzende Rainzer Zins auf die Idee, mich als Berater für barrierefreies Bauen und Wohnen zu werben. Ich habe angenommen, und es macht mir nach wie vor viel Spaß!

Was sind Ihre Hauptaufgaben?

Glöckner: Wir beraten Privatleute, wenn zum Beispiel ein Bad umgebaut oder eine Wohnung rollstuhlgerecht gestaltet werden soll.

Groß: Dieser Service ist übrigens kostenlos – nicht nur für VdK-Mitglieder, sondern für alle Betroffenen! Es ist schön, Menschen helfen zu können. Wir freuen uns über jede Anfrage.

Welche Tipps würden Sie Menschen geben, die barrierefrei bauen oder umbauen möchten?

Glöckner: Es geht um den barrierefreien Zugang ins Gebäude und in die Wohnung. Breite Türen, bodengleiche Dusche, genügend Platz neben der Toilette. Und keine Stolperfallen wie dicke Teppiche.

Groß: Sinnvoll ist auch, dass die Eingangstür leicht zu öffnen ist, am besten elektrisch mit einem Schalter. Bei mehrstöckigen Häusern sollte ein Aufzug oder eine Hubbühne mitgedacht werden. Bei Wasser und Elektrik ist auch immer die Frage, ob man später die Armaturen höhenverstellbar gestalten kann. Man sollte alles gut planen und sich auch über entsprechende Fördermittel erkundigen.

Glöckner: Der Blick in die Zukunft ist entscheidend. Heute fühlt man sich gut, aber schon morgen kann sich die Beweglichkeit verschlechtern. Wenn dann nochmals umgebaut werden muss, kostet das viel Geld und Nerven, die man dann vielleicht nicht mehr hat.

Und was passiert, wenn man das Geld nicht aufbringen kann oder sich sagt: Egal, ohne Barrierefreiheit geht‘s auch?

Groß: Man sollte wirklich alle Hebel in Bewegung setzen, Fördermittel beantragen, gegebenenfalls einen akzeptablen Kredit aufnehmen. Denn am Ende entscheidet Barrierefreiheit darüber, wie viel Hilfe man braucht und ob man zu Hause wohnen bleibt. Jeder Mensch will so lange wie möglich ein selbstständiges Leben führen. Das muss das Ziel sein.

Glöckner: Es ist ja nicht nur das Wohnen, sondern auch das Einkaufen, allein zum Arzt gehen können, Freunde und Bekannte besuchen, auch als schwerbehinderte Person mit dem Bus fahren können. Das ist eine Frage der Menschenwürde.

Sie beraten nicht nur Privatleute, sondern verfassen auch Stellungnahmen für Bauträger, zum Beispiel wenn eine Stadthalle oder ein Busbahnhof barrierefrei werden soll. Wie schätzen Sie das ein: Hat sich im öffentlichen Raum schon genug getan?

Glöckner: Beim Thema Barrierefreiheit gibt es leider noch viel zu tun. Es fehlt immer noch an Empathie und Wissen, auch in den öffentlichen Verwaltungen. Mitarbeitende werden selten geschult. Barrierefreie Maßnahmen werden aus Kostengründen abgelehnt. Schauen Sie nur, wo wir stehen: Der jetzige Nahverkehrsplan zeigt, dass Bushaltestellen erst bis 2039 barrierefrei sein müssen, Haltestellen an Schulen ab 2034. Die Sanierungen von Schulgebäuden und Mehrgenerationenhäusern erfolgen häufig unter Missachtung von Inklusions- und Baugesetzen. Das gilt auch beim Bau von privaten öffentlichen Gebäuden wie Arztpraxen oder Cafés. Und bei den Baugenehmigungsbehörden fehlt es an Personal, um das flächendeckend zu kontrollieren.

Groß: Manchmal muss man allerdings das Machbare und das Notwendige gegeneinander abwägen. Ein altes Dorfgemeindehaus kann unter Umständen nicht ideal umgebaut werden, da muss man Kompromisse machen.

Glöckner: Oft ist aber der Wille nicht da. Freie Architektinnen und Architekten denken zuerst ausschließlich an die Kosten. Deswegen verwerfen sie Maßnahmen, die mit geringem Mehraufwand umsetzbar wären, oder tragen sie dem Bauherren nicht vor. Teilweise gibt es auch gestalterische Gründe. Dann hört man Sätze wie „Die kontrastreichen Markierungen auf den Treppenstufen sind nicht schön“.

Groß: Das stimmt. Selbst bei gut gemeinten Projekten bin ich erstaunt, wie wenig die Barrierefreiheit mitgedacht wird.

Das klingt nicht vertrauenserweckend. Haben Sie ein Beispiel?

Groß: Eine meiner ersten Ortsbegehungen war der Bahnhof Obernhof. Das Gebäude selbst war barrierefrei, aber der Weg dorthin nicht.

Wie konnte das passieren?

Groß: Barrierfreiheit wird an vielen Stellen nicht selbstverständlich mitgedacht. Das muss sich ändern. Barrierefreiheit muss sich mehr im allgemeinen Bewusstsein festsetzen.

Glöckner: Ich sage immer: Für das Geld und in der Zeit, in der es falsch gemacht wird, kann man es auch richtig machen.