VdK-Tipp: Wie lese ich ein Wahlprogramm?
Wahlprogramme wollen die eigene Wählerschaft ansprechen und möglichst wenig Menschen verprellen. Das geht auf Kosten der Klarheit. Um ein Wahlprogramm gewinnbringend zu lesen, sollte man auf folgende Punkte achten:
Darauf ist zu achten
Konkrete Ziele
Konkrete Ziele zeigen, was den Parteien wirklich wichtig ist; denn an konkreten Zielen muss man sich später messen lassen. Zum Beispiel stand in früheren SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands-Wahlprogrammen die Kindergrundsicherung; mittlerweile ist nur noch die Rede davon, dass man Kinderarmut bekämpfen wolle.
Angaben zur Finanzierung
Angaben zur Finanzierung sind wichtig, um Vor- und Nachteile einer Maßnahme gegeneinander abzuwägen. Denn viele Parteienpläne kosten Geld, und das bedeutet meistens Schulden, Steuererhöhungen oder Leistungskürzungen. So fordert das BSW eine Mindestrente von 1.500 Euro, schreibt aber nicht, wie das finanziert werden soll.
Widersprüche erkennen
Widersprüche sind schwieriger zu erkennen, da es nicht um einzelne Aussagen geht, sondern um die Gesamtbetrachtung. Aber wer den CO2-Ausstoß senken und gleichzeitig die Straßen ausbauen möchte, hat seine Ziele entweder nicht durchdacht oder will es allen Recht machen.
Kehrseite einer Maßnahme
Meistens wird die Kehrseite einer Maßnahme verschwiegen. So will die CDUkurz fürChristlich Demokratische Union aus der täglichen Höchstarbeitszeit eine wöchentliche machen. Das wäre zwar eine Entlastung für Unternehmen, aber eine Belastung für die Arbeitnehmenden.
Themengewichtung
Die Themengewichtung weist auf einen weiteren wichtigen Punkt hin: Es kommt nicht nur darauf an, was im Wahlprogramm steht, sondern auch darauf, was dort nicht steht. Das 52-Seiten-starke FDPkurz fürFreie Demokratische Partei-Wahlprogramm widmet dem Thema „Altersvorsorge“ nur eine halbe Seite.
Zuständigkeiten im Blick
Wenn möglich, sollte man auch die Zuständigkeiten im Blick behalten. So stellt Die Linke energisch fest, dass die Länder zu wenig in Krankenhäuser investieren. Mag stimmen, aber daran wird eine Bundestagswahl nichts ändern: Länderhoheit bleibt Länderhoheit.
Falsche Behauptungen
Falsche Behauptungen stehen immer wieder in Wahlprogrammen. Die AfD erweckt den Eindruck, dass das Bürgergeld gegenüber Hartz IV zu höheren Regelsätzen geführt habe. Doch die Regelsätze wurden nicht wegen des Bürgergelds erhöht, sondern wegen der Inflation; das hätte es auch bei Hartz IV gegeben.
Symbolpolitik
Hinter großen Worten versteckt sich manchmal nur Symbolpolitik. So befürwortet Bündnis 90/Die Grünen die kapitalgedeckte Rente, um damit „geringe und mittlere Renten zu stärken“. Klar ist aber, dass ein solcher Aktienfonds keinen nennenswerten Effekt hätte.
Politische Codes
Manche Formulierung ist so allgemein, dass man alles hineininterpretieren kann, obwohl sie für eine bestimmte politische Ansicht steht. Hier ein paar Beispiele:
Ordnungspolitische Maßnahmen
Ordnungspolitische Maßnahmen bedeutet staatliche Eingriffe. Typische Beispiele sind die CO2-Bepreisung, der Mindestlohn oder die Datenschutz-Grundverordnung.
Wettbewerbsfähigkeit sichern
Wettbewerbsfähigkeit sichern steht für niedrigere Steuern für Unternehmen, weniger Arbeitnehmerrechte und im schlimmsten Fall Lohndumping.
Effizienzsteigerung
Effizienzsteigerung ist eine Umschreibung für Kostensenkung und bedeutet oft Abbau von Arbeitsplätzen, weniger Umwelt- oder Datenschutz sowie mehr Digitalisierung.
Europäische Lösung
Eine europäische Lösung wird immer dann gefordert, wenn die deutsche Politik keine eigenen Maßnahmen ergreifen möchte.
Verantwortung übernehmen
Verantwortung übernehmen geht in der Regel Hand in Hand mit höheren Ausgaben, meistens in der Verteidigungspolitik.
Mehr Eigenverantwortung
Mehr Eigenverantwortung klingt nach Freiheit, bedeutet aber verkürzt gesagt: Sozialleistungen abbauen.
Wahl-O-Mat
Wahlprogramme zu lesen (und zu verstehen) kann lange dauern. Deswegen befragen viele Wählerinnen und Wähler den Wahl-O-Mat. Das hat Vor- und Nachteile:
- Man bekommt einen schnellen Überblick über die verschiedenen politischen Positionen. Gerade, wenn man wenig Zeit hat oder politisch nicht so interessiert ist, kann der Wahl-O-Mat schnell und unkompliziert bei der Wahlentscheidung helfen.
- Problem ist aber, dass sich einige politische Forderungen schlecht in kurze These pressen lassen. Komplexität geht somit verloren, und die Information wird verzerrt.
- Lesbarkeit und Klarheit sind ebenfalls große Pluspunkte des Wahl-O-Mat. Die Thesen werden auf den Punkt und in verständlicher Sprache von einem Expertenteam erarbeitet.
- Allerdings stammen die Antworten von den Parteien selbst, wodurch Falschinformationen in den Wahl-O-Mat kommen können.
- Gut ist wiederum, dass der Wahl-O-Mat die politische Vielfältigkeit zeigt, denn kleine Parteien werden genauso berücksichtigt wie große.
- Das trifft aber nicht auf den Inhalt zu, denn der Wahl-O-Mat orientiert sich an der aktuellen gesellschaftlichen Debatte. Dadurch fehlen Themen, die weniger populär sind, aber für manche Wählerinnen und Wähler wichtig wären.
- Auch behandelt der Wahl-O-Mat alle Thesen gleichwertig und weist nicht auf Widersprüche oder Machbarkeit hin. Als Nutzer könnte ich mich für Steuererleichterungen, die Schuldenbremse und mehr Staatsausgaben aussprechen, obwohl sich das gegenseitig ausschließt.
Eine gute Ergänzung zu Wahl-O-Mat und Wahlprogramm ist die Einordnung von Fachleuten – sei es aus Wissenschaft, Medien und natürlich dem Sozialverband VdK! Am Ende müssen alle Wählerinnen und Wähler ihren eigenen Weg durch den Informationsdschungel finden – um ihre Stimme gewinnbringend einzusetzen.