Kategorie Inklusion Barrierefreiheit Teilhabe

Barrierefreiheit: „Wir als VdK können viel bewegen!“

Von: Das Interview führte Michael Finkenzeller.

Falsch gedacht, schlecht gemacht oder einfach ignoriert – Barrierefreiheit ist in den Köpfen der Menschen in Rheinland-Pfalz noch nicht vollständig angekommen. Ein typischer Schildbürgerfall ist das Bürgerhaus in Gau-Bischofsheim. Mit der VdK-Ortsverbandsvorsitzenden Hannelore Gruszczynski sprach die VdK-Zeitung über barrierefreie Wahlen, Matschwege für Rollstuhlfahrer und den Einfluss der VdK-Ortsverbände.

Eine Frau schiebt einen Mann im Rollstuhl über einen matschigen Weg.
Endstation Inklusion: Hier scheitert die Barrierefreiheit an einem Hang mit matschigem Weg zum Bürgerhaus. © privat

Frau Gruszczynski, Ihretwegen wurde das Wahllokal in Gau-Bischofsheim vom ersten Stock ins Erdgeschoss verlegt. Außerdem haben Sie im Haushaltsplan der Gemeinde durchgesetzt, dass in Barrierefreiheit investiert wird. Sind Sie jetzt die Nervensäge der Region?

Na, das hoffe ich doch nicht (lacht)! Wir haben in der Gemeinde alle einen guten Kontakt zueinander. Trotzdem muss man sagen, wenn etwas schiefläuft. Und bei unserem Bürgerhaus läuft einiges schief, zumindest was die Barrierefreiheit angeht.

Ein Wahllokal im ersten Stock ohne Aufzug, das hört sich offengesagt blödsinnig an.

Deshalb wurde unser Antrag auch von allen Fraktionen im Gemeindesaal unterstützt. Das Bürgerhaus ist ein schwieriger Fall. Es wurde in den Hang hineingebaut, das heißt, auf der Rückseite ist der erste Stock ebenerdig. Allerdings liegt davor ein Park mit geschwungenen, stark ansteigenden und unbefestigten Wegen. Der Zugang zum Erdgeschoss auf der Vorderseite hat Treppenstufen. Kein Rollstuhlfahrer kommt selbstständig in das Gebäude, und auch mit Hilfe ist es schwer. Das sieht man gut auf dem Foto.

Ein typischer Fall: Barrierefreier Raum, aber kein barrierefreier Zugang.

Ja, das hat was von Schildbürgerstreich, aber die Situation kann ich bedingt verstehen: Es ist ein altes Gebäude, denkmalgeschützt, und kein Neubau, den man ideal planen kann.

Trotzdem ist die Situation unzumutbar: Ein Bürgerhaus sollte für alle Menschen zugänglich sein, nicht nur am Wahltag, sondern auch bei allen Veranstaltungen, die vor oder im Gebäude stattfinden, wie die Sitzungen verschiedener Vereine. Ich kenne ältere Menschen, die gehen nicht mehr zum Senioren-Kaffee, weil sie nur schwer die Treppe laufen können. Einer unserer Rolli-Fahrer sagte, wenn er auf die Kerb geht, überlegt er sich eine halbe Stunde vorher, ob er auf die Toilette muss, weil der Weg hoch in den Park zur Rückseite des Gebäudes so lang dauert. Denn nicht nur der Bürgersaal ist im ersten Stock, sondern auch die barrierefreie Toilette.

Was ist dann die Lösung?

Die Vorderseite muss barrierefrei werden. Das Kopfsteinpflaster im Hof ist natürlich für Rollis und gehbehinderte Menschen ein echtes Hindernis. Außerdem brauchen wir einen Lift in den ersten Stock sowie eine Rampe für die zwei Stufen vorm Eingang.

Eine Rampe überbrückt zwei Treppenstufen.
Eine Rampe als Notlösung. © privat

Das klingt teuer. Ist die Gemeinde bereit, das zu zahlen?

Aus meiner Sicht führt da kein Weg dran vorbei. Man muss halt immer den Finger in die Wunde legen, bis es auch der Letzte verstanden hat.

Wie haben Sie Druck gemacht?

Um das Wahllokal zu verlegen, habe ich mit dem Bürgermeister gesprochen, dann mit der Landesbehindertenbeauftragten und dann mit dem SWR. Ein paar Telefonate später und noch vor dem Drehtermin kam die Nachricht: Das Wahllokal wird ins Erdgeschoss verlegt, es gibt einen Fahrdienst für mobilitätseingeschränkte Menschen und eine mobile Rampe an den Eingangsstufen. Die war allerdings nur einen Meter lang und entsprechend steil, also auch nicht wirklich barrierefrei, aber für den Moment das Beste, was wir kriegen konnten.

Entscheidend ist nun, den Zugang auf der Vorderseite barrierefrei umzubauen. Dafür haben wir als VdK-Ortsverband eine Unterschriftenaktion gestartet, an die Verbandsgemeinde geschrieben, eine Mitgliederbefragung durchgeführt und eine Ortsbegehung organisiert.

Die meisten VdK-Ortsverbände konzentrieren sich auf die Mitgliederbetreung, also Freizeitaktivitäten wie Grillfeste oder Tagesausflüge. Woher nehmen Sie in Gau-Bischofsheim den Mut, auf Missstände aufmerksam zu machen?

Ich finde, das hat weniger mit Mut zu tun, sondern mehr mit Engagement. Barrierefreiheit ist nicht kompliziert. Man kann sich schnell in die Materie einarbeiten, muss mit offenen Augen durch die Welt gehen und sich trauen, wenn es nötig ist.
Im Zweifel helfen einem die VdK-Beratenden für barrierefreies Bauen und Wohnen. Man muss einfach selbstbewusst auftreten und verstehen, dass wir als VdK-Ortsverband viel bewegen können.