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Barrierefreiheit oder Datenschutz?

Von: Ida Schneider

Mann mit Sehbehinderung klagt gegen datenschutzrechtliche Vorgaben

Datenschutz hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert: Bei Verstößen drohen teils hohe Bußgelder. Doch was ist, wenn datenschutzrechtliche Vorgaben mit dem Anspruch auf Barrierefreiheit kollidieren? Damit musste sich das Hamburger Sozialgericht beschäftigten – und hat eine Entscheidung getroffen, die für viele Menschen mit Behinderung interessant sein dürfte.

Ein Mann arbeitet mit einer verdunkelten Sehhilfe an seinem LapTop.
Sehbehinderte können mit speziellen Computer-Programmen Dokumente lesen. © Michel Ariens

Menschen mit Sehbehinderung sind auf barrierefreie Kommunikation angewiesen

Menschen mit Sehbehinderung sind auf barrierefreie Kommunikation angewiesen. Denn die Betroffenen können Dokumente in Papierform nicht oder nur schwer lesen; sie benötigen PDF-Dokumente, die von einem speziellen Computerprogramm vorgelesen werden können.

Nun hat das Hamburger Sozialgericht im Juni 2023 eine wichtige Einzelfallentscheidung getroffen. Dem sehbehinderten Kläger müssen wichtige Bescheide auch als unverschlüsselte E-Mail geschickt werden, wenn er das wünscht. Das hatte das Jobcenter zuvor aus datenschutzrechtlichen Bedenken abgelehnt.

Der sehbehinderte Kläger hatte gegenüber dem Jobcenter seinen Anspruch geltend gemacht auf elektronische Übersendung wichtiger Dokumente wie Anträge, Hinweisblätter, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide. Das Jobcenter bestand aber darauf, ihm die PDF-Dokumente nur in einer verschlüsselten E-Mail zu schicken, um den Datenschutz zu wahren. Da der Empfänger kein entsprechendes Computerprogramm zur Entschlüsselung installiert hatte, gab er dem Jobcenter seine Einwilligung, ihm die Schriftstücke unverschlüsselt zu mailen. Das Jobcenter weigerte sich, und der Fall ging vor Gericht. Der Kläger argumentierte, dass nicht vorausgesetzt werden kann, dass jeder über ein solches Programm verfügt und auch in der Lage ist, es zu bedienen. Barrierefreie Kommunikation sei ihm wichtiger als die Risiken einer unverschlüsselten Übertragung seiner Daten. Dieser Argumentation ist schließlich auch das Gericht gefolgt.

Ob auch andere Behörden aufgrund dieser Einzelfallentscheidung ihre datenschutzrechtlichen Vorgaben für sehbehinderte Menschen lockern, bleibt abzuwarten. Wer aber auf barrierefreie Kommunikation angewiesen ist und das Risiko der unverschlüsselten Übermittlung bewusst in Kauf nehmen möchte, kann sich nun gegenüber Behörden und Leistungsträgern auf das Hamburger Urteil berufen.

Übrigens: Auf einen Papierversand müssen Betroffene nicht verzichten, selbst wenn sie alle Schriftstücke per E-Mail erhalten.

SG Hamburg, Urteil vom 30. Juni 2023 - S 39 AS 517/23